Klänge außerhalb

 

Als ich jung war lebte ich frei und ungebunden. Natürlich gab es die strukturellen Einschnitte der Schule die ich auch mit Interesse wahrnahm, aber viel wichtiger waren für mich andere Dinge. Beispielsweise verbrachte ich viel Zeit in der Natur und nicht nur am Tage, sondern auch nachts. Ich erinnere mich sehr genau an die unheimlichen Momente, alleine bei Dunkelheit und die über mich hereinbrechende Lautwahrnehmung in der Geräuschwelt des nächtlichen Waldes. Mit der Kenntnisnahme und einer wachsenden Fähigkeit des hinein Hörens erlebte ich schon als Kind die sich immer weiter entwickelnde Deutung des Dringlichen, bis hin zum Wissen. Im nächtlichen Wald existiert kein unerhörtes Phänomen, alles ist präsent, gegenwärtig und bedrängend. Im Gegensatz zum Hören bei Tage existiert in der Dunkelheit keinerlei optische Ablenkung. Sehr schnell und fortschreitend entwickelt sich die Befähigung von Feinheit und Deutung.

Im installativen künstlerischen Diskurs mit Klang begegnet mir diese frühe Erkenntnis des Hörens immer wieder. Gleich einer unausrottbaren Dramaturgie erhoffen sich die Regisseure der akustischen Rezeption immer mit demselben Trick eine augenblicklich einsetzende Konzentration auf das Unerhörte. Dieser lautet: Licht aus – Klang an! Simplifizierungen haben einen erstaunlich langen Atem und wiederholen sich besonders dort, wo sowieso mit spezifischen Erwartungshaltungen umgegangen wird. So sind Theater- und Musikbühnen anscheinend der ideale Ort mit dieser Technik eine sofort einsetzende fokussierte Wahrnehmung und zielgerichtete Konzentration zu erreichen, oder diese zumindest zu ritualisieren.

Im urbanen Geräuschumfeld der Stadt funktioniert diese vereinfachte Art der akustischen Rezeption nicht. Hier ist das Hören in Echtzeit wie ein Kaleidoskop von unerwarteten Zusammenhängen und augenblicklich sich verändernden Bedingungen. Laute und leise, nahe und ferne und sich immer anders einstellende akustische Perspektiven prägen den Hörvorgang und konkurrieren mit einer Fülle optischer Eindrücke. Wir befinden uns immer im Zentrum einer mehr oder weniger wandelbaren Dichte von Geräusch, je nachdem wo wir sind, manchmal nah am akustischen Ausnahmezustand. Meistens hören wir weg im Sinne eines Zuhörens. Findet unser Ohr in der meist überbordenden Gleichzeitigkeit allerdings einen interessanten Laut, so wird der gesamte Hörprozess unwillkürlich zu einem Zusammenhang von akustischen Ereignissen, einem Hinhören für einige Momente.

Karlsruhe, April 2015