Der fliegende Händler in der NYC Subway

 

Der alte Mann kam immer unerwartet in das U-Bahn Abteil, stellte sich in die Mitte des Waggons und begann mit seinem Job. Er verkaufte asiatische Mitbringsel die Sound machten. Seine kurzen Auftritte von einer Station zur Nächsten waren kleine Performances, in denen er den Gegenstand vorführte. Er griff in eine große Umhängetasche, zog ein Objekt heraus, demonstrierte es in Aktion und kommentierte seine Handlung am Ende mit der Bekanntgabe des Preises: One Fifty. Immer One Fifty. Durch den Einheitspreis überzeugte die Vielfalt der Angebote noch mehr, da ein qualitatives Herauslesen zwischen unterschiedlichen Preisen und Gegenständen nicht stattfand. Man konnte sich ganz unabgelenkt von solchen Preis-Leistungs-Vergleichen auf das Ritual der Vorführung konzentrieren und sich auf die überraschende Vielfalt der aus dem Sack gezauberten Gegenstände mit ihren Geräuschen einlassen.

Dabei entstand so etwas wie ein gesprochener Grundrhythmus und ein klanglich sehr überraschender Kontrast durch die klingenden Gegenstände. Er führte sie vor, relativ ambitionslos und nicht darauf aus sie solistisch zu bespielen. Diese augenscheinliche Distanz zu den Gegenständen und seine sonore und emotionslose Bekanntgabe des immer gleichen Preises machten die Vorführung zu etwas ganz Besonderem. Nach wenigen Augenblicken entstand etwas ungewöhnlich Anderes. Die akustischen Äußerungen seiner Gegenstände waren stellenweise ziemlich witzig und unvorhersehbar, d.h. die Geräusche waren der optischen Erscheinung nach nicht ablesbar, aber trotz dieses unterschwellig humoristischen Grundtons entstand ein großer Ernst in seiner Handlung, eine tiefe Poesie des Augenblicks. Zum Rattern der Fahrgeräusche und zum Quietschen der Bremsen in der New Yorker Subway ergab sich eine neue Synchronisation mit einem anderen Rhythmus jenseits des Alltäglichen und gleichzeitig mitten in dessen Zentrum.

New York, Oktober 1992