Die Bedeutung von Klang in der szenischen Präsentation

 

Der etwas umständliche Titel zielt auf den Zusammenhang dessen, was auf einer wie auch immer gearteten Bühne aus der Sicht des Publikums geschieht und mit Ausnahme der Pantomime immer schon da ist. Dass ein Sprecher spricht, ein Chor singt oder ein Orchester spielt und dass Töne, Klänge und Geräusche im Sinne einer Handlung als Wirkungsverstärker eingesetzt werden, steht seit Einführung des Musiktheaters außer Frage. Ist aber die Rede von Klang in einem szenischen Kontext, so erweitert sich nicht nur das Begriffsfeld Musik, sondern es erhebt letztendlich alles Hörbare zum Gestaltungsmaterial.

Meistens höre ich zu, wenn ich entweder gespannt darauf bin, was als nächstes kommt, also wie es weitergeht, oder ob es so weitergeht, wie ich denke, oder weil ich etwas so Außergewöhnliches höre und dieses Hören in mir ein neues assoziatives Fenster öffnet und ich entweder erfahren möchte, was es ist, oder woher es rührt, da es plötzlich existiert, als ob es von nirgendwo herkommt und meine Wahrnehmung unvorbereitet trifft.  

Der Frage nachzugehen, warum man eigentlich überhaupt zuhört, ist aufschlussreich: handelt es sich beispielsweise nicht um einen sprachlichen Informationsaustausch, dann muss das Ohr von etwas anderem angeregt werden, um bei der Sache zu bleiben. Vielleicht reagieren unsere rezeptiven Sinne immer nach dem Schema der Realitätsanalyse und der Bedeutungsabfrage, sowie daraus ableitend nach dem Prinzip des Weghörens, wenn etwas erkannt und identifiziert ist. Vielleicht wird durch diese Befähigung des Ausblendens urbanes Leben erst erträglich, Weghören als Strategie. Aber dies ist momentan nur eine Nebenbetrachtung.

Vielmehr besteht eine Szene oft aus einem audiovisuellen Angebot, einem hochkomplexen Verhältnis aus Gesten, Verlautbarungen und Inhalten. Wie etwas „gemeint“ sein kann, ist häufig das Resultat eines sofortigen Abgleichs von ähnlich Erlebtem und einem genauen Wahrnehmen von Zwischentönen, jedenfalls einer fortdauernden und sofortigen Analyse unter Zuhilfenahme unseres weitreichenden Erfahrungsrepertoires. Hier an dieser Sollbruchstelle entstehen eigentümliche Spannungen aus dem Gegensatz von Reflexion und Emotion. Alles was unserer Analyse nicht passgenau erscheint, erregt schlagartig unser Interesse. Für den Musikalisierungsprozess in der szenischen Präsentation bedeutet dies die Möglichkeit einen latenten Hunger nach assoziativ besetzbaren Momenten und Augenblicken zu choreografieren. Denn genau diese offenen Sinngehalte transportieren sich wie von selbst und machen ein scheinbar zweckfreies Geräusch zum eigentlichen Impulsträger einer anderen Form audiovisueller Inszenierung.

Diese Art von Zweckfreiheit ist es auch, die in der Klangkunst vor allem in ihren installativen und performativen Ausprägungen unter Anwendung elektroakustischer Klangproduktionen und elektronisch erzeugten Geräuschwelten zielgerichtet angestrebt wird. Hier im Spektrum der Computermusik bestehen die periodische Schwingung (Ton) und die harmonierenden periodischen Schwingungen (Klang) nur als Sonderfälle im Kosmos der Geräusche. Mit diesem akustischen Werkzeug lassen sich Höreindrücke inszenieren, die als Klangmaterial selbst völlig abstrakt eingesetzt werden können.

Darüber hinaus existiert die Möglichkeit der Freistellung der Klangproduktion als theatrale Form. Das Audiovisuelle thematisiert sich dabei nicht über ein Bild, sondern stellt den Moment des Hörens und das Sichtbarmachen der Klänge und Geräusche als Handlungsmotiv in den Vordergrund und wird zur Aufführung gebracht. Eingebettet in einen Handlungsrahmen, bei dem die Hörbarkeit die darstellerische Aktion bestimmt, wird Klang oder Geräusch zu einem neuen Erklärungsansatz für dieses Handeln. Interessant sind an dieser Stelle jene dramaturgisch gestalteten Handhabungen als akustische Experimente, die eine konkrete Erwartung evozieren und enttäuschen, bzw. sublimieren, oder realitätsabgewandte und völlig überzogene Phänomene als Lösung anbieten.

 

 Norderheistedt, Februar 2009