Audiovisuell

 

Wir haben Ohren für alles und hören im physikalischen Sinne ohne Unterscheidung. Schwankungen des Luftdrucks schallen an unser Hörorgan und reizen mechanisch unsere sensiblen Nervenspitzen. Diese Permanenz der Aktivität reicht weit in jegliche Art von Raum und seiner Ausdeutung, immer verbunden mit der Suche nach dem bisher Unerhörten. Die ungeheure Komplexität dieses Vorgangs unserer akustischen Wahrnehmung passiert als elektrischer Impuls, als Energieimpuls in der Umwandlung dieses mechanischen Reizes. Die unterschiedlichsten Höreindrücke, die gleichzeitig an unsere Ohren dringen synchronisiert das Gehirn durch Gammawellen. So wird durch unsere Ohren, beidseitig am Kopf und die daraus resultierende minimale zeitliche Verzögerung, beispielsweise die Richtungsbestimmung des Gehörten möglich. Hier in der Hörrinde passiert unablässig und solange wir leben ein augenblicklicher Vorgang der Analyse, ein Bewerten und Sortieren, ein Erinnern und Verwerfen. Dieser andauernde Reiz einer hörbaren Gegenwart, der schon vor unserer Geburt einsetzt, komplettiert sich mit Erfahrungen und Emotionen aller anderen Sinneseindrücke zu einem in der Welt sein und einer aktiven Teilnahme und angeblich noch als letzter Wahrnehmungsimpuls in unserem scheidenden Leben.

Wir leben als Stadtmenschen in einem überbordenden Kontext von Geräusch und Krach, sehnen uns nach Stille und Verminderung der akustischen Bedrängung und hoffen auf ausgrenzende Maßnahmen der Reduktion, wie von der Schallschutzmauer,  dem Flüsterasphalt und der Dreifachverglasung von Fensterscheiben bis zum Verbot von Laubgebläsen. Leider scheinen wir aber gefangen in den Innovationen und Neuerungen für ein zukünftig immer besser werdendes Leben im Fortschritt, in dessen Verlauf sich eine Reihe gravierender Fehlentwicklungen im akustischen Alltag eingestellt haben.

Der mit Klang arbeitende Künstler proklamiert in diesem Zusammenhang  neue Klangräume oder ein anderes Hören. Dies bedeutet hier so etwas wie neu gehört oder anders gehört oder überhaupt erst gehört. Herauszustellen sind künstlerische Strategien und deren Anwendung im urbanen Stadtraum als eine Möglichkeit des Überlebens für rezeptive Wesen in einer von Lärm überfluteten Gegenwart. Letztendlich geht es um alltägliche Beobachtungen und Erfahrungen, aus denen künstlerische Interventionen erwachsen, um dann mit den Mitteln der Kunst neue Wahrnehmungsangebote zu generieren. In diesem Sinne handelt es sich nicht um die Beschallung städtischer Ambiente und Wegeräume oder die akustische Berieselung als Konsumgleitmittel in Kaufpassagen. Ausgenommen ist auch die mit Klang kolorierte Atmosphäre von Funktionsräumen wie Fahrstühle oder Hotellobbys, bis hin zur Umkehrung der psychologisch fragwürdigen Stimmungsaufhellungspraxis in Form massiven Einsatzes  klassischer Orchestermusik zur Vertreibung unerwünschter Personen wie auf dem Gelände der Deutschen Bahn am Hamburger Hauptbahnhof.

Die Zielsetzungen, die sich mit diesen Überlegungen verbinden, thematisiert dagegen das ästhetische Gefälle in der rezeptiven Bewertung von Geräusch und Klang, Lärm und Krach. Im Fokus steht dabei alles, was klingt oder hörbar ist, nicht nur der wohltemperierte komponierte Klang einer ausgesuchten Aufführungsmusik, sondern besonders alle Formen von Geräuschen, deren Bedeutung sich sofort aufdrängt und besonders die, deren Erscheinen wir nicht unmittelbar benennen können.

Es kann nicht darum gehen das Störpotential der Geräusche durch Wohlklang zu behübschen, sondern einen grundsätzlich neuen Umgang mit Lärm und Lautstärke einzuleiten, der neben den bekannten Vermeidungsstrategien für ein Umdenken in der Wahrnehmung urbaner Geräuschwelten wirbt und deren musikalisierbares Potenzial hervorhebt und herausarbeitet.

Das Hören sollte dabei auf das Sehen zurückwirken. Viele Hörmomente des Alltags entsprechen dem, was an der Zeichenüberflutung kritisiert wird. Sie täuscht Vielfalt vor, desorientiert aber eher als das sie nutzt und produziert Redundanz statt Vielfalt, was anscheinend der akustischen Wirklichkeit entspricht. Die Geräusche der Stadt sind in der Wahrnehmung von KlangkünstlerInnen allerdings ein Material mit Erlebnisgehalt und der Ausgangspunkt für eine andere Betrachtung des Alltäglichen. Es geht dabei weniger um die Gestaltbarkeit von akustischen Landschaften, sondern primär um die Spezifika des Audiovisuellen. Das viel zitierte Hören und Sehen ist nämlich eher ein Sehen und Hören und dies in einer gesteigerten Praxis von Stadtmenschen  gezwungenermaßen ein Sehen und Weghören. Lässt man sich allerdings ernsthaft auf unsere hörbare Welt ein, so wird die Teilhabe an einem aktiven Prozess möglich, eines Stroms von vielen gleichzeitigen Ereignissen, oft unübersehbar vielfältig und wandelbar und fast in jedem augenblicklichen Hörmoment anders.

Berlin, 2015