Ein Beginn von Klangkunst

 

Am Ende meines Studiums experimentierte ich mit automatistischen Skripturen. Was mich wahrscheinlich interessierte, war nicht in erster Linie die Bildproduktion sondern die bei diesen Bewegungs- und Schreibvorgängen entstehenden Geräusche, aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Schreiben meint hier einen Vorgang der Motorik, ausgeführt mit Hand und Arm nicht mit dem gesamten Körper. Ich experimentierte mit verschiedenen Rhythmisierungen, unterschiedlichen Trägermaterialien und diversen Kreiden. Ich ergänzte die Resonanzfähigkeit eines Papierbogens durch die Beschaffenheit seiner Unterkonstruktion, von der einfachen Tischplatte bis zu speziellen Resonanzverstärkern. Später dann erweiterte ich diese Vorgehensweise im Sinne der Frottagetechnik, beispielsweise auf Formen des orchestralen Schlagwerkes und vielen Varianten von Perkussionsinstrumenten. Es entstanden audio-visuelle Zeichnungen, wobei die Beobachtung der Bildentstehung nie außer Acht gelassen wurde. Mit dem nächsten Schritt, einer Übertragung dieses Verfahrens auf konkrete Räume und architektonische Situationen wie Wände und Böden, entwickelte ich einen installativen, zeichnerischen Zugriff, der die zum Teil verborgenen Geräusche eines Raumes  hör- und sichtbar machte. Ich entdeckte zum Beispiel Hohlstellen unter dem Putz, die bei einem Abklopfen ganz unterschiedlich in der Tonhöhe und Klangfarbe waren. Diese Vorgänge geschahen entweder coram publicum als Performance, bei der die Entstehung transparent wurde (ich habe diese Ereignisse damals schon Konzert genannt), oder als installatives Ergebnis im Sinne gestalteter Räume für ein Ausstellungsprojekt. Das Arbeiten mit Klang im Kontext eines konkreten architektonischen Bezugs war für mich der erste bewusste experimentelle Versuch im Umgang mit Resonanzphänomenen von Räumen. Diese Erkenntnisse über den körperlichen Selbstklang der Dinge bewirkte einen völlig neuen Zugang zu dem, was bis dato meinem Musikverständnis entsprach: nunmehr waren nicht nur die Instrumente Ausgangspunkt von Bespielbarkeit, sondern alles was klingt. Eigenresonanzen, Feedbacks, die hörbare Anregbarkeit von Materialschwingungen und die eher offene Art der Selbststeuerung waren genau die Prozesse, die es ermöglichten, Klang in völlig anderen Zeitstrukturen zu denken. Durch diese Praxis der Klangerzeugung und Materialerforschung entstanden immer neue und überraschende Transformationen und die Vorstellung einer akustischen Plastizität, einer Art Körperlichkeit des Klangs, eines Klangs in einer vierdimensionalen Beschaffenheit als Erweiterung des Skulpturbegriffs durch die Zeit.

Berlin, Dezember 1998