Kleine Hausmusik

 

…Weit vom Eingangsgebäude entfernt, in unmittelbarer Nähe zum Hallenschaupavillon hat Eller ein kleines, handelsübliches Gewächshaus eingerichtet, das seine eigentliche Funktion eingebüßt hat, um sich in einen nicht betretbaren Klangraum zu verwandeln. An den mit weißem Vließ blickdicht gemachten Innenwänden klettern nicht Schlingpflanzen; dort sind zehn Lautsprecher so angeordnet, dass das gesamte Volumen des Innenraums mit den eigens für diesen Zweck produzierten elektronischen Saitenklängen ausgefüllt wird.

Die Erwartung, in dieses Glashaus hineinblicken zu können und vielleicht seltene Pflanzen zu entdecken, wird gleich enttäuscht. Das Gewohnte, Normale tritt nicht ein. Dieser Widerspruch, der die Wahrnehmung des neugierig gemachten Besuchers in eine andere Richtung lenkt, gehört zu einer der künstlerischen Strategien Ulrich Ellers.

 
 

…Eine weitere Überraschung erlebt der Besucher, der sich dem rätselhaften weißen Objekt nähert. Während seines Spaziergangs durch das weite Gelände der Gartenschau hat sein Ohr bis zur Anhöhe des Hallenschaupavillons Zeit bekommen, die üblichen Geräuschkulissen abzubauen. Umso mehr ist seine Aufmerksamkeit gesteigert, wenn er langsam einen nicht definierbaren akustischen Hintergrund bewusst zur Kenntnis nimmt, der aus dem blinden Glashaus entweicht

In diesem Augenblick wird das Hören zur experimentellen Tätigkeit, die die aktive  Beteiligung des Zuhörers fordert. Er fragt sich, was zu hören ist und ob das Gehörte dem Gehäuse oder der Umgebung entspringt …Das Klangobjekt ist etwas, was sich mit Auge und Ohr wahrnehmen lässt, ist aber im weiteren Sinn auch ein Aspekt des Denkens, ein Impuls für Vorstellungsräume, die darüber hinausgehen, was sich unmittelbar den Sinnen erschließt. Die Technik, die diesen statischen Klangkreis zum Rotieren bringt, ist sekundär und bleibt unsichtbar, so dass das Objekt und die Klänge für die Vorstellung des Hörers offen werden. Für Ulrich Eller geht es dabei nicht um eine aparte Klangkombination: Ihn interessieren die Bilder, die im Kopf des Zuhörers durch akustische Impulse entstehen. Das Glashaus selbst bleibt die Klangquelle, der Betrachter wird zum Hörer. Er kann seine Wahrnehmungsposition verändern und so die Klangereignisse gewichten, was zu einer anderen Interpretation des Gehörten führt. Je nach Höhe und Rhythmus der Töne wirken die Klänge unterschiedlich auf den Menschen, der sie gerade vernimmt.

 

Die räumlich fixierte, verortete Tonfolge erlaubt aber auch dem Hörer, sich vom linearen, unumkehrbaren Zeitkontinuum des traditionellen Klangs zu lösen. Unterbrechungen, Pausen, das Verharren und die paradoxe Stille des Tons werden jetzt ebenso hörbar wie seine zeitliche Abfolge.

Die Klänge artikulieren sich nicht mehr über eine klar bemessene Zeit, sondern über die Zeit als Raum. Die Klangskulptur von Ulrich Eller ist zutiefst als eine Reflexion über das Hören an für sich zu sehen. Sie ist eine Installation der Wahrnehmung und der Imagination, so sinnlich wie philosophisch.

Annie Bardon: “Eine kleine Hausmusik” von Ulrich Eller, Landesgartenschau, Wismar


  • Ulrich Eller, Eine kleine Hausmusik, Verborgene Gärten, Internationales Kunstprojekt zur Landesgartenschau, Wismar 2002


Handelsübliches Gewächshaus: L 3m, B 1,85m, H 2m, Weißer Vließ, Lautsprecher, 4-kanalige Komposition, Kabel, Zuspieltechnik.